Es ist Donnerstagmorgen, eine Müsli-Schale steht vor mir und während ich motivationslos darin herumrühre, kommen mir Gedanken: In wenigen Stunden bist du in einer völlig anderen Kultur, kannst kein Wort der Landessprache, kennst nahezu nichts von deinem Ziel und in 76 Stunden bist du wieder zurück.
Es fühlt sich völlig normal an. Wie ein bevorstehender Spaziergang durch den Kiez. Wie ein Ausflug ins Grüne. Wie ein Picknick. Dann stelle ich fest, dass die Normalität nicht normal und mir in diesem Moment viel zu wenig bewusst ist, was mir als mittelaltem weißen Mann möglich ist. Sich nämlich – nachdem ich mein Müsli aufgegessen habe – in ein Flugzeug zu setzen und einfach so in ein anderes Land zu reisen. Ohne Sorgen. Dafür mit umso mehr Neugierde. Und der Gewissheit, erfahrungsreicher wieder zurückzukommen in mein gemachtes Nest. In mein sicheres Land. Ein guter Gedanke.
Also schnappe ich meinen Koffer und werde die Bordkarte gegen einen Fensterplatz nach Tirana einlösen.
Glückliche Umstände brachten mich wieder dazu, einen Aufenthalt in Düsseldorf als Ausgangspunkt zu nutzen, um für ein paar Tage weiter nach Westen zu reisen. Leicht angeschlagen vom Vorabend betrat ich also den Zug und gedankenversunken in der Niederrheinischen Heide war das Erste, was ich nach dem Grenzübertritt sah, eine Windmühle. Ich habe mich offenbar nicht verfahren und befinde mich auf direktem Weg in die niederländische Hafenstadt Rotterdam.
„Zugbindung aufgehoben.“ ist eine Pushmitteilung, die man vor Antritt einer Reise mit mehreren Umstiegen und einer voraussichtlichen Ankunft zu nachtschlafender Zeit nicht unbedingt lesen möchte.
Dennoch scheute ich das Risiko nicht und stieg in einen Zug, der mich von Düsseldorf nach Köln, von Köln nach Brüssel und von dort weiter nach Norden bringen sollte. Denn es geht für ein paar Tage in die Diamantenhauptstadt der Welt: nach Antwerpen. Bling-bling. Ich kannte Belgien bislang aus der Scheibe eines Reisebusses nach London irgendwann in den 90ern und einem Zwischenstopp auf dem Flughafen Brüssel. Es galt also für mich als Transitland – Zeit, dies zu ändern.
Sicherheitshinweis: Ich hoffe, Sie haben gut gefrühstückt oder sich Brote geschmiert. Denn es dauert etwas länger und startet ohne Vorgeplänkel.
Ich steige an einem lauschigen Oktobertag gemeinsam mit 189 anderen Reisewilligen in ein Flugzeug, das mich in drei Stunden nach Madrid bringt – eine Stadt, die viel verheißt, viel verspricht, viel Unbekanntes in sich birgt. Zumindest für mich. Ähnlich verheißungsvoll war die Zeit dreier Damen, die hinter mir saßen und offenbar einen fantastischen Abend in Berlin hatten. Sie sorgten mit ihren Ausdünstungen der Nacht jedenfalls für eine interessante olfaktorische Reiseerfahrung. Unter einer süßlich alkoholschwangeren Wolke torkelte also das Flugzeug auf die spanische Hauptstadt zu: Bienvenido a Madrid.
Es ist 22:41 Uhr und ich sitze an einem verwaisten Flughafen in Valencia. Wie konnte das geschehen? Nun, der Rückflug nach Berlin geht um 5:45 Uhr und der öffentliche Personennahverkehr der Stadt kommt zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr nahezu zum Erliegen. Zudem ist mein Vertrauen in das hiesige Taxigewerbe nicht groß genug, nachts eine Droschke zu erwischen, geschweige denn, dass ein vorbestelltes wirklich zur gegebenen Uhrzeit vor meiner Haustür steht. Mag antiquiert klingen, aber so habe ich nun wenigstens sieben Stunden Zeit, meine Eindrücke aus einer Woche Aufenthalt in Valencia minutiös niederzuschreiben.
Für diejenigen, die kein Freund langer Text sind: Es war fantastisch!
Und für diejenigen, die sich an ausführlicheren Texten laben sind folgende Zeilen gerichtet.
Im Pratergarten prasseln mittlerweile die Kastanien von den Bäumen. Es riecht nach herabfallendem Laub, aufgeweichtem Boden, frisch gerösteten Maronen. Ich kam im Sommer nach Wien und ging im Herbst. Dazwischen lagen keine drei Wochen. Und jetzt sitze ich im Railjet, der mich in 8 ½ Stunden wieder in Berlin ausspuckt. Zeit für ein kleines Resümee.
Als ich mich kürzlich mit einem alten Bekannten traf – Sie wissen schon – berichtete dieser mir, wie er vor über 20 Jahren nach Wien gekommen ist. Er lief bei Nacht durch die Stadt und hörte diesen Gassenhauer von Rainhard Fendrich. Es war um ihn geschehen und er wollte nicht mehr weg. Fendrich als Einstiegsdroge, interessant. Ich wollte auch diesen Rausch, also flux das Mixtape von Klassik auf Fendrich gewechselt, Kopfhörer eingestöpselt und rein in die Nacht.