Balenciaga in Valencia

Lesedauer: etwa 7 Minuten

Es ist 22:41 Uhr und ich sitze an einem verwaisten Flughafen in Valencia. Wie konnte das geschehen? Nun, der Rückflug nach Berlin geht um 5:45 Uhr und der öffentliche Personennahverkehr der Stadt kommt zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr nahezu zum Erliegen. Zudem ist mein Vertrauen in das hiesige Taxigewerbe nicht groß genug, nachts eine Droschke zu erwischen, geschweige denn, dass ein vorbestelltes wirklich zur gegebenen Uhrzeit vor meiner Haustür steht. Mag antiquiert klingen, aber so habe ich nun wenigstens sieben Stunden Zeit, meine Eindrücke aus einer Woche Aufenthalt in Valencia minutiös niederzuschreiben.

Für diejenigen, die kein Freund langer Text sind: Es war fantastisch!

Und für diejenigen, die sich an ausführlicheren Texten laben sind folgende Zeilen gerichtet.

Neuer Städtepunkt: Check. 

Nach regelmäßigen und längeren Aufenthalten in Tel Aviv und Lissabon war es das erste Mal seit 2019, dass ich mich wieder auf neues Terrain begab und eine Stadt ohne Vorwissen erkunde. Ein Gefühl, was ich längst zu vergessen glaubte, aber schnell wieder eintrat: Das wohlige Kribbeln vor dem Unbekannten.

Die Stadt das erste Mal im Landeanflug zu sehen – ich hatte die ungünstige linke Seite im Flugzeug erwischt, die nur die Randbezirke zeigte, während die beneidenswerten Menschen auf den A–C-Plätzen die wahre Stadtpracht von oben genießen durften. Das erste Mal den Boden zu betreten und sich neben des Kerosingeruchs einzubilden, diesmal aber wirklich Orangenhaine und das Meer zu riechen. (Um dem vorwegzugreifen: Es blieb bei der Einbildung, zumindest am Flughafen.) Der souveräne Gang zur Metro, ohne zu wissen, wie das Netz funktioniert. Die Ankunft an der Zieldestination, um sich dann via Google Maps zur angemieteten Unterkunft durchzuschlagen, die hinterlegten Schlüssel aus dem Kästchen zu friemeln und das erste Mal die neue Herberge aufzuschließen. Sack und Pack wegzulegen und unbelastet in die neue Stadt zu einzutauchen.

Vamos a la playa

Die ersten Schritte wurden natürlich in Richtung Strand getätigt und der erste Eindruck war, äh… eindrucksvoll. Breite aufgeräumte Fußwege mit süßer Rillenverzierung, baumdurchsäumte üppige Alleen, zahlreiche Sitzgelegenheiten und separate Fahrradstreifen waren nicht unbedingt die Dinge, die sich mein vorurteilsbehaftetes Hirn vorab ausmalte.

Strand. Wow! Ein etwa 300 Meter breiter Sandstreifen zog sich bis zum Horizont und überraschte erneut. Denn neben dem Strand war das Meer. Wer hätte das gedacht?! Doch hinter dem Horizont ging’s weiter und so folgte ich der Empfehlung, am Ende des Strandes eine Bar aufzusuchen, die offenbar den besten Nutella-Cheesecake auftischt. Ich beließ es bei einem Bier und stellte fest, dass ich mir das in Lissabon mühsam abgewöhnte „Gracias“ wieder angewöhnen muss, denn beim Kellner bedankte ich mich mit einem rausgerutschten „Obrigado“, welches er zum Anlass nahm, mir über seine brasilianische Herkunft zu berichten. Und ich hatte endlich die Gelegenheit, meine Halbjahres-Babbel-Duolingo-Spanischkenntnisse dem Praxistest zu unterziehen. Soy una tortuga y si es una araña yo corro.

Der Wind zeichnet Wellen in den Sand und es knirscht wieder zwischen den Zähnen und Zehen. So habe ich in den folgenden Tagen viel Zeit damit verbracht, einfach nur Menschen an den Strand kommen zu sehen und zu beobachten, wie sie angesichts dieser wunderschönen Kulisse anfingen zu lächeln, glücklich zu sein, herumzutanzen, Selfies miteinander zu machen. Ein Zustand, der mich ebenfalls sehr glücklich machte. Mehr braucht’s nicht. Ich bin ein einfaches Gemüt.

Da war doch noch wat Grünes bei

Ansonsten besticht Valencia nicht nur durch einen ausschweifenden Strand und beträchtliche Hafenanlagen samt Marina. Die Stadt gibt außerdem der Freizeit viel Raum in Form von satten Grünanlagen. Der Jardín del Turia wurde in einem alten Flussbett angelegt und durchzieht die Stadt auf über 9 Kilometern Länge. Egal, ob man sich dem Jogging, dem Rollschuhlauf, Yoga, dem Tanze, Rugby, Baseball, Fußball oder dem Radsport hingeben möchte: Es ist für alles Platz. Den Kindern errichtete man einen riesengroßen Spielplatz in Form eines riesigen Gullivers, der mit mehreren Rutschen, Netzen, Klettergerüsten erobert werden kann. Und selbst für mich als schlaffen Fußgänger wurden Wege geschaffen. Auch die Hobby-Botaniker kommen voll auf ihre Kosten, denn gefühlt jede Flora der Welt findet sich dort. Ich entdeckte jedenfalls Bäume, die ich vorher noch nie gesehen habe und roch allenthalben den Duft der Orangen.

Doch das Highlight des Parks befindet sich am östlichen Ende: Die Ciutat de les Arts i les Ciències. Ein Sohn der Stadt, der weltberühmte Architekt Santiago Calatrava hat Valencia dort eine einzigartige Sehenswürdigkeit geschaffen, indem er die spektakuläre „Stadt der Künste und Wissenschaften“ errichtete – übrigens einer meiner Hauptgründe, Valencia zu besuchen, da ich seine Architektur sehr mag und bereits vor der Station Oriente in Lissabon oder dem Gare de Lyon-Saint-Exupéry offenmündig stand.

Generell ist Valencia eine Stadt mit grandioser Architektur. Prunk, Eleganz, Opulenz sind nur wenige Beschreibungen, die der Pracht gerecht werden. Und zwischendrin findet man kleine liebevolle Details wie La Casa de los Gatos – ein kleines Fassadenstück, welches den Eingangsbereich eines Innenhofs für Katzen darstellt. 

Überhaupt ist der Titel „Welthauptstadt des Designs“ gerecht vergeben, denn die Häuser sehen nicht nur gut aus, sondern beherbergen größtenteils überraschenderweise nicht die üblichen Discounter, Massenramschläden oder Billigketten. Stattdessen finden sich dort geschmackvoll eingerichtete Boutiquen, elegante Cafés oder exquisite Blumenläden. Und überhaupt scheint ein Markt an Special Interest-Geschäften vorhanden zu sein. So viele Läden für simplen Malereibedarf, Schreibwarenläden und Haushaltswaren habe ich schon ewig nicht mehr gesehen.

Ich schrieb davon, dass Valencia seinen Freizeitsportlern viel Raum gibt. Dies tut und tat die Stadt auch für den kommerziellen Sport, logisch. Es fand hier der America’s Cup statt und – ich habe es völlig vergessen – bis 2012 wurden am Hafen Formel 1-Rennen ausgetragen, was dem Areal noch einmal einen besonderen Charme verleiht. Und dies leider nicht im positiven Sinne. Durchzogen von Beton zeugen aufgemalte und verblasste Sponsorenschriftzüge von längst vergangenen Tagen des Zirkus‘, der hier einmal stattgefunden haben muss. Riesige Hallen, in denen früher die Rennställe untergebracht waren fristen ein trauriges Dasein hinter Bauzäunen. Eine Fläche von mehreren zehntausend Quadratmetern sind nun zubetoniert und haben mittlerweile einzig den Zweck, dass sich Obdachlose dort zusammengeschusterte Hütten bauen und die Natur sich das zurückholt, was ihr genommen wurde.

Und ich frage mich: War es das wert, für insgesamt fünf Rennen (neben den weniger bedeutenden anderen Straßenrennen) ein riesengroßes Areal so nachhaltig zu versiegeln und sich selbst zu überlassen?

Doch zurück zu den erfreulichen Dingen. In den Genuss einer Paella kam ich mangels einer zweiten Person nicht (viele Restaurants bieten die Paella erst ab zwei Personen an), doch dafür aß ich umso leckerere Bocadillos und Empanadas. Ich habe nahezu alle in der Stadt befindlichen aufgegessen und musste feststellen, dass der beste Empanada aus Maismehl und Hähnchenfüllung besteht und tatsächlich aus einem schnöden Supermarkt stammte.

Wie ist es also in Valencia?

Ich war 7 Tage in der Stadt und habe das Gefühl, alles gesehen zu haben. Architektur trifft auf Natur, Urbanes trifft auf Strand und Meer, Mensch trifft auf Tier (auch wenn es in meinem Fall kleingehäckselt in einer Teigtasche war). 

Ich war 7 Tage in der Stadt und habe das Gefühl, wiederkommen zu müssen. Ganz bald. 

Denn du bist so schön, dass ich gern länger bleiben möchte. Oder um es mit einem Lösungssatz des spanischen Glückrads auszudrücken, von dem ich in der Zeit großer Fan wurde: „Eres mi faro en una noche de tormenta.
Obrigado Gracias Valencia! ❤

5 Comments

  1. Olaf 23. November 2022

    Was für ein wundervolles Erlebnis Du genießen konntest und in Dich aufsaugen.
    Menschen, Architektur, Essen genießen, Strand, Meer, Relikte der Formel 1…
    Und, eigentlich alles erkundet, aber eine Wiederkehr scheint unumwunden.
    Sehr schöner Reisebericht mit wunderbaren Erinnerungen.
    Es war ein Genuss, in dieser Form teilhaben zu dürfen, Dankeschön dafür!

  2. Conny 23. November 2022

    Ein einfaches Gemüt.. wie wahr.. liegt sicher an unseren Genen…
    Hast uns wieder so schön mitgenommen und wir konnten auch in deine gefühlswelt eintauchen.. macht neugierig..
    Einziges kleines Makel ( für mich!) Die Bilder von der Rennstrecke wären mir in schwarz/weiß lieber gewesen..
    Schön, dass es endlich wieder so einen wunderschönen Bericht hier zu lesen gibt. Danke!

    Lg die hippe

  3. Bernie 24. November 2022

    Ich will sofort alles weglegen, zuklappen, abschalten und ab nach Valencia!

  4. Paul 26. November 2022

    Ganz tolle Bilder. Sehr malerisch!

  5. Albrecht 26. November 2022

    Wieder einmal eine tolle Kombination aus sympathischem Text im Kolletzky-Stil und beeindruckenden Bildern. Man kann in den Bildern sehen, wie Dir die Architektur gefallen hat. Gracias!

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