Tel Aviv, ein Resümee

Lesedauer: etwa 6 Minuten

Vor ziemlich genau vier Wochen saß ich abends im Sand, den Rücken an einen Pfahl gelehnt, gerade angekommen, auf das Meer blickend und kann mich noch an den ersten Satz erinnern, den ich mir sagte: „Das ist jetzt deine Heimat für die nächsten vier Wochen.” Es war ein gemischtes Gefühl bestehend aus dem Reiz des großen Unbekannten, was nun auch mich zukommt, einer gewissen Neugier, allein all die Tage zu gestalten und der freudigen Erwartung, mit aller Zeit in eine andere Welt einzutauchen.

Ein Gefühl, was sich selbst nach vier Wochen noch ganz nah anfühlt. Gefühlt war es gestern. Zeit für ein kleines Resümee.

Am Strand von Tel Aviv

Was hat das Leben in Tel Aviv so schön gemacht?

Zuallererst waren es die Menschen, die mir das Eintauchen in die Stadt so wunderbar erleichterten. Allen voran Todd, der mich gleich am ersten Tag auf eine Reise durch seine Welt nahm und mit all diesen Menschen bekannt machte. Diese Menschen sollten zu guten Bekannten werden und die Zeit wie im Fluge vergehen lassen. Neli von der Kzitzeria, Nelis Bruder, der Barista Miki, Handwerker Danny, Bierverkäufer Eran und alle anderen, mit denen ich beinahe täglich in Kontakt war und die diese Zeit begleiteten. Nimmt man sich vor, einen schnellen Snack auf dem Markt zu sich zu nehmen, findet man sich zwei Stunden später am Kaffeestand schnackend wieder. Möchte man dem Handwerker Eintritt in die Wohnung gewähren, sitzt man mittags mit ihm vor einem Teller Hummus und redet über die Familie. Steht der Gastgeber vor der Tür und fragt, wie es einem geht, trinkt man zwei Stunden später immer noch auf der Terrasse türkischen Kaffee und philosphiert über den Klimawandel und politische Themen. Fragt man die Streetfood-Verkäuferin, was typische Mitbringsel für daheim sind und schon findet man sich nach dem gemeinsamen Besuch von zig Läden und bepackt vielen Einkaufstüten beim Bier im Salon Berlin wieder.

Tel Aviv ist keine Stadt, die man auf Anhieb liebt. Dafür ist sie zu wild, zu heterogen, zu rauh. Und doch wird es einem sehr leicht gemacht, sie schnell ins Herz zu schließen. Den an der See lebenden Menschen wird nachgesagt, gelassen und tolerant die Dinge entgegenzunehmen. Alles nicht so ernst zu nehmen. Dies habe ich selbst erleben können. Auch an mir. Vermeintlich wichtige Dinge waren auf einmal nicht mehr ganz oben auf der Prioritätenliste.

Tel Aviv ist ebenfalls keine Stadt, die man anhand von Fotos als Lieblingsreiseort auswählt. Man muss eintauchen in die Stadt und sie erleben. Das können Fotos nur bedingt transportieren, weswegen ich meine Kamera auch größtenteils zu Hause ließ. Sie hat reizvolle Ecken. Architekturfans kommen durch Bauhaus, den teilweisen Brutalismus und auch die moderne Architektur voll auf ihre Kosten. Techies fühlen sich durch die boomende Startup-Szene ziemlich schnell heimisch. Historisch interessierte Personen haben trotz des jungen Alters der Stadt sehr viel zu entdecken. Und für die Erholung und Sportbegeisterten ist der kilometerweite Strand und die breite Promenade prädestiniert.

Bauhaus
Tel Aviv Museum of Art
Tel Aviv
Strand von Tel Aviv

Die Sprache.

Weil mein hebräisch arg eingerostet ist, war die Hauptverständigungssprache naturgemäß Englisch. Was wunderbar funktioniert hat, schließlich ist Tel Aviv sehr jung und entsprechend westlich geprägt. Am vorletzten Tag wurde es ganz skurril, als ich Todd noch auf einen Kaffee besuchte. Zu Gast war eine Freundin, die seit fünf Jahren in Tel Aviv lebt und aus Berlin kommt. Es entwickelte sich also ein brainfuckiger Mischmasch aus Englisch, Deutsch und teilweise Hebräisch. Und der Kopf brauchte eine Weile, um in dem Land, in dem ich seit vier Wochen nur Deutsch in den kurzen Meetings mit den Arbeitskollegen sprach, wieder umzuswitchen. Ich habe die Leute immer belächelt, die behaupten, nach x Wochen im Ausland anfangen, auch in der ihr umgebenden Sprache zu träumen. Soweit ist es zum Glück nicht gekommen, aber kann es mittlerweile nachvollziehen, erwische ich mich doch dabei, beim Verlassen eines Geschäfts immer noch ein „Vay. Tudah.“ rufen zu wollen.

Was noch?

Ich bin schusslig geworden. Wusste ich vorher genau, wo ich Sonnenbrille und Co. ablegte oder was ich einkaufen wollte, war und lebte ich den Traum und ließ die Dinge geschehen. Und ärgerte mich trotzdem, wenn ich vermeintlich an alles dachte, nur das Feuerzeug daheim vergaß.

Zudem bin ich zum Frühaufsteher geworden. Endeten vorher meine Tage selten vor 0 Uhr, begab ich mich in Tel Aviv meist schon gegen 21/22 Uhr ins Bett und war entsprechend früh wach. Durch die zusätzliche Zeitverschiebung von einer Stunde ein ungeheurer Produktivitätsgewinn, schließlich war ich hauptsächlich zum Arbeiten in der Stadt. Und so hatte ich meist schon vier Stunden etwas schaffen können, ehe es ins morgendliche Meeting via Skype ging. Entsprechend blieb mir dann natürlich auch Zeit, den Tag mit einem ausgedehnten Strandspaziergang im Sonnenuntergang zu beenden.

Schlussendlich noch die allerwichtigste Erkenntnis: Wie schnell ich mich an zunächst ungewohnte Umgebungen gewöhnen kann.

Tel Aviv Skyline
Sonnenuntergang

Das Rauschen der Wellen. Das Klacken der Maskots. Das Knacken der Muscheln unter meinen Schuhen. Die permanenten Durchsagen, dass Baden verboten sei. Der Wind, der einem ständig um die Nase weht. Der Beat der Cafés, der von jedem Strandabschnitt weht. Die lauten Gemüseverkäufer. Die leisen Cityscooter, die um einen herumschwirren. Das Unfertige in der gesamten Stadt. Das Geräusch, wenn Gemüse auf der heißen Platte gebraten wird. Das Rascheln der Plastiktüten, wenn man seine Lebensmittel auf die Waage legt und bezahlt. Wenn die Sonne im Meer versinkt und den Himmel orange färbt. Die Windböen, die mit dem Chamsin die Stadt mit Sand überziehen. Das Knirschen unter den Füßen und in den Zähnen, sobald man den Strand betritt. Den ersten und den letzten warmen Sonnenstrahl des Tages erwischen. Ein interessiertes „How are you?” gepaart mit einem Lächeln und freundlichem Handschlag. Das Röhren der landenden Flugzeuge über der Terrasse. Der Geruch von salziger Seeluft. Mittags das Haus auf einen kleinen Plausch und etwas zu essen zu verlassen. Die Zubereitung und der Genuss eines türkischen Kaffees nach Art des Israelis. Oder einfach nur das Sitzen am Strand, um den Tag Revue passieren zu lassen.

All das wird mir fehlen.

Tel Aviv
Tel Aviv
Tel Aviv

Sagte ich mir in Woche 1 und 2, dass noch so viel Zeit sei, all die Dinge zu erleben, flogen die Tage und nun befinde ich mich wieder in meiner 38 qm-Bude in Berlin-Friedrichshain und schaue in einen Innenhof. Vorbei die Zeit des Blicks auf den Horizont, auf Wolkenkratzer, auf das wuselige Treiben zu meinen Füßen. Des sandbeschuhten Heimkommens mit raschelnden Plastiktüten.

Ich hatte Hochs und Tiefs in der Zeit. In der Heimat spielten sich Dinge ab, die ich nicht mehr beeinflussen konnte. Zu denen ich keinen Zugang mehr bekam. Zu deren Lösungsfindung ich nicht mehr beitragen kann. Und doch hatte ich ganz selten das Gefühl, einsam zu sein.

Man soll gehen, wenn’s am schönsten ist. Der Zeitpunkt ist gekommen.

תודה תל אביב יב

Tel Aviv

6 Comments

  1. conny 11. März 2019

    Mir stehen gerade die Tränen in den Augen, wenn ich das alles lese…
    Ich kann mir unheimlich gut vorstellen, wie Du Dich fühlst bzw. gefühlt hast und wie sehr Du Dich in diesen vier Wochen in der völlig anderen Welt so gut zurecht gefunden hast und so viele liebe Bekanntschaften hast machen können/dürfen. Alle haben Dich so gut aufgenommen und werden Dir mit Sicherheit ein Leben lang im Gedächtnis bleiben und wie heißt es doch so schön: man sieht sich immer zweimal im Leben.
    Danke für diese wunderbaren Erlebnisse, die Du uns mit erleben hast lassen.

    lg die hippe

  2. Olaf 12. März 2019

    Sehr ergreifende Sätze die Du da niedergeschrieben hast von Deinen Erlebnissen und gesammelten Erfahrungen.
    Ja, die Menschen dort sind sicher eine ganz andere Mentalität und “menschlicher”, die man als echte Freunde gewinnen kann.
    Es zeigt, Dir hat die Zeit dort gut gefallen, hast viele Erfahrungen gesammelt. Es war eine Bereicherung in Deinem Lebenslauf.
    Dankeschön für die tollen Zeilen.

  3. Olaf 12. März 2019

    Was für ein mit Emotionen gespickter Bericht.
    Man erkennt, daß bereits bei der Auswahl der Unterkunft ein wenig Glück dabei war, sonst hättest Du so wunderbare Menschen nie kennen gelernt. Ich glaube, sie prägen in gewisser Hinsicht Deinen weiteren Werdegang. Eben, weil es ganz andere Charaktere sind, als man hierzulande kennt.
    Vieles konntest Du in dieser Zeit nicht beeinflussen, aber sicher viele neue Erkenntnisse gewonnen.
    Ich danke für die einfühlsam verfaßten Reiseberichte. Es war für Dich eine sehr schöne Zeit, fernab der Heimat, doch stetigen Kontakt dorthin und gute Menschen kennengelernt zu haben.

  4. […] 8. November 2019. Ich komme zurück in die Stadt, die mich Anfang des Jahres einen entscheidenden Monat meines Lebens begleitet und geprägt hat: Tel Aviv. Bereits jetzt schon zu viel Pathetik. Back to […]

  5. […] dann die Promenade runter, wo schon das Touristenvolk wartet. Die bekannten Klanggemische aus dem Klack-Klack der Maskots, Straßenmusikern, dem Schlurfen der Sandalen auf dem sandigen Asphalt, Strandgeschrei und dem […]

  6. […] sich. Ich glaube, der Israeli meint das nicht so. Tief in ihm ist er sehr herzlich, wie ich ja vermehrt schon schrieb. Selten habe ich freundlichere, aufgeschlossenere, interessiertere Menschen erlebt. Er ist halt […]

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