Mit blau-weißen Socken gegen den Abreisestress

Lesedauer: etwa 6 Minuten

Der Abreisetag. An der Aufregung kann es nicht gelegen haben, dass ich um 5:30 Uhr wach war. Auch tönten keine Sirenen, sondern vielmehr bretterte eine Boeing 787-9 Dreamliner in gefühlt 100 Metern Flughöhe über mein Haus. An Weiterschlafen war nicht mehr zu denken, denn wenige Minuten folgte eine 777 aus Bangkok. Dank intensiver Studien von flightradar24, das ich während der allabendlichen Terrassensitzung und die ankommenden Flieger betrachtend fortwährend scannte, erkenne ich die Fluggesellschaften größtenteils von unten anhand ihrer Bemalung. Die El Al-Maschinen zeichnen sich übrigens dadurch aus, dass ihr Bauch der eines Haifischmauls ähnelt – was immer das auch bedeutet.

Anflug auf Tel Aviv
Flugzeuge gucken

Also war ich wach und überlegte, was ich mit dem angebrochenen Tag anfangen soll. Den Sonnenaufgang konnte ich nicht sehen, weil genau an der Stelle das Nachbarhaus steht. Zum an den Strand zu gehen, war ich zu faul. Zudem wollte ich mir mein Bild nicht zerstören, denn vom letzten Mal weiß ich, dass die Vormittagssonne kein schönes Licht erzeugt. Zumindest dort nicht.

Ich packe meinen Koffer und nehme mit…

Mir fiel ein, dass meine ganzen Klamotten aus neun Tagen Aufenthalt ins Handgepäck verstaut müssen – inklusive Rechner, Kamera und Literatur. Das Tetrisspielen begann erneut. Aus den im Internet kursierenden Life Hack Videos (hat sicher jeder schon mal gesehen) habe ich gelernt, dass man am platzsparendsten packt, indem man die Sachen rollt. Also alle Shirts übereinander gelegt, zusammengerollt; das gleiche Spiel mit Unterwäsche und Hosen. Und auf einmal passte alles bequem in eine Hälfte des Handgepäckkoffers!

Innerliche Freude kam auf, verbunden mit der Frage, womit ich den restlichen Platz noch füllen soll und ob ich vielleicht das Kameraequipment, welches ich auf dem Hinflug als zweites Handgepäckstück in das Flugzeug schmuggelte, auch noch hineinbekäme. Dann fiel mir auf, dass ich ja noch die Sachen der Nacht sowie Badelatschen und Badehose trug. D’Oh. Und so füllte sich auch der letzte Rest der Hälfte, während ich der bevorstehenden Sicherheitskontrolle am Flughafen wohlwissend die garantiert zu überprüfenden Sachen wie Notizbuch, Laptop, Flüssigkeiten und Kameralinsen in die andere Hälfte lud.

Das Köfferchen

Gegen 10 Uhr klopfte es an der Tür, die Reinigungskraft stand putzbereit vor mir. Dass Todd es offenbar versäumt hat, ihr Bescheid zu geben, dass ich erst um 13 Uhr abreise: Geschenkt. So konnte ich ihm wenigstens nochmal einen Besuch abstatten und dabei zusehen, wie er zermörserte Medikamente in Hackfleischbällchen integrierte. Denn sein Hund Bruno hat Bronchitis. Dabei rechnete er mir noch einen gewissen Wiederkommer-%-Rabatt für den diesmaligen Aufenthalt heraus – dieser belief sich auf etwa 91 Euro und er sagte: „Wenn wir noch ein kurzes Video drehen, runde ich auf 100 auf.“ – „Video???“ Nicht das, was ihr denkt.

Und so hatte ich auf einmal sein Telefon in der Hand und musste ihn dabei filmen, wie man am besten ins Apartment gelangt und sich dort auch zurecht findet. Denn das ist mit ein paar kniffligen Aufgaben verbunden. Wer also in Zukunft dieses Apartment bucht, wird meine herausragenden Filmkünste bewundern können. Kleiner Spoiler: An einer Stelle bin ich auch mal in hellblauer Badehose im spiegelnden Fenster sichtbar. Wenn das alleine mal nicht zur Buchung einlädt…

Auf ins Abenteuer

Es war mittlerweile 13 Uhr und mein Abenteuer sollte beginnen. Denn ich habe mir vorgenommen, diesmal nicht mit einem bequemen, aber teuren Taxi zum Flughafen zu fahren, sondern diesmal den ÖPNV zu nutzen. Bis auf den Zubringer per Zug vom Flughafen zur HaHagana-Station vermied ich es bislang, weitere öffentliche Verkehrsmittel zu nehmen, sondern erlief alles. Einigermaßen pünktlich kam dann auch der Bus (wahrscheinlich weil meine Haltestelle eine Station nach dem Start war) und so tuckerten wir lautstark hupend und fluchend durch das Tel Aviver Verkehrsgewimmel. Mit „wir“ ist übrigens „er, der Busfahrer“ gemeint.

Am Bahnhof angekommen, sollte ich umsteigen in den Zug – jedoch nicht ohne vorher den obligatorischen Sicherheitscheck zu machen. Also alles in den Scanner und irgendwann durfte ich dann auch passieren. Der Zug ging in 3 Minuten, also vertrödelte ich nicht länger Zeit mit dem Anstehen am Ticketschalter, sondern gab mir die volle Dröhnung: Ticket ziehen am Automaten in Hebräisch. Irgendwie hat das dann auch geklappt, den Piktogrammen sei Dank, und ich konnte die zweite Etappe angehen.

Auf dem Weg zum Terminal 1

Am Flughafen kommt man am Terminal 3 an, dem Hauptterminal. Mein Flieger geht jedoch von Terminal 1, welches Luftlinie etwa 2 Kilometer entfernt ist. Also musste ich noch den Shuttle suchen, was dann auch gelang. Terminal 1. Hallo, nice to meet you again. Da, wo meine damalige Reise ein so unrühmliches Ende nahm. Ich stellte mich schon auf das Schlimmste ein – denn ich war zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres hier, reiste allein und hatte wieder einiges an Technikgerümpel dabei.

Auf dem Weg zum Terminal 1

Es geht los

Den ersten Sicherheitscheck hatte ich gemeistert. Nach den üblichen Fragen, ob ich scharfe Gegenstände dabei habe, den Koffer selber packte und ob ich zu dieser Reise gezwungen wurde, habe ich jeweils die vermeintlich richtige Antwort gegeben und so war Hürde 1 geschafft. Aus der Erfahrung sollten noch 7 weitere folgen – und die erste Hürde war damals auch schon die leichteste, wenn auch folgenschwerste. Doch später dazu mehr.

Glücklicherweise übersprang ich Hürde 2 sofort, denn ich hatte kein Aufgabegepäck und konnte somit gleich zu Level 3 – den Eingang zur Passkontrolle – gehen. Auch dies wurde routiniert gemeistert, doch immer mehr kam ich in die Richtung der Höhle des Löwen. Die elektronische Passkontrolle, wo man sein rosa Ausreisekärtchen bekommt, hat den Vorteil, dass sie elektronisch ist, also keine Menschen daran beteiligt sind, die doofe Fragen stellen können. Und so gelangte ich ins Epizentrum des damaligen Ausreisewahns, der Securitykontrolle.

Rosa Ausreisekärtchen, blaues Einreisekärtchen

Galant schlenderte ich die abgesteckten Lanes entlang, vor mir eine ältere Dame. An der letzten Biegung bevor ich es geschafft hätte, wurde diese Dame ihres Passes kontrolliert und ich musste warten – denn auch ich wurde kontrolliert. Logisch. Ein flüchtiger Blick auf die mir in Level 1 an den Pass geklebte Ziffern- und Buchstabenfolge veranlasste die Sicherheitsbeamtin, mich ins Bonuslevel zu schicken: Während alle anderen Passagiere in ihrer Lane auf das Röntgengerät und milde gestimmte Sicherheitsbeamte warteten, durfte ich in den Extrabereich. Dort, wo die ganz harten Fälle landen. Dort, wo ich das letzte Mal auch schon war. Als sie mich zudem fragte, wann mein Flieger ging, war ich schon aufs Schlimmste gefasst, doch der letzten Erfahrung reicher schob ich den Abflug wissentlich lügend auf eine halbe Stunde vor.

Bonuslevel

Auf einen längeren Aufenthalt einrichtend entledigte ich mich meiner Sachen in diversen Wannen und freute mich schon auf die Einzelbefragung im Anschluss. Kein Test sprang an, nur meine Schuhe durchliefen eine Extrarunde im Röntgengerät. Und so durfte ich – nachdem die Sicherheitsbeamtin mein liebevoll und voller Inbrunst gepacktes Klamottenrollgebilde zerstört hat – wieder erneut Tetris spielen und alle Sachen zurückräumen. Doch wenn das der Preis ist, den ich zahlen muss, um schneller passieren können, soll mir das nur recht sein.

Ein zaghaft-fragendes „That’s all?“ erwiderte ein anderer Beamter mit „Yes, you can pass“ und ich war durch. Das war ja einfach! Vielleicht lag es wirklich an meinen blau-weißen Socken.

Ben Gurion
Abreise nach Berlin

Und so sitze ich jetzt zwei Stunden vor der Abreise ganz entspannt im Abflugbereich und habe Zeit, das alles niederzuschreiben:

Der Abreisetag. An der Aufregung kann es nicht gelegen haben, dass ich um 5:30 Uhr auf einmal wach war. Auch tönten keine Sirenen, sondern vielmehr bretterte eine Boeing 787-9 Dreamliner in gefühlt 100 Metern Flughöhe über mein Haus. An Weiterschlafen war nicht mehr zu denken, denn wenige Minuten folgte eine 777 aus Bangkok. […]

Tel Aviv bei Nacht

3 Comments

  1. Olaf Kolletzky 18. November 2019

    Blau-weiße Socken, ein Symbol des Tages, des Glücks und der Erleichterung…

  2. Hippe 18. November 2019

    Herrlich.. wir haben beide, im Bett liegend, gerade deinen Bericht schmunzelnd gelesen und finden es sehr schade, dass dieses tägliche Bericht erstatten nun vorbei ist..
    Aber dir ist alles ja auch nicht einerlei, dein so gemochtes reiseziel verlassen zu müssen.
    Danke fürs dabei sein dürfen.

    LG die hippe

  3. Hippe 18. November 2019

    Ach ja… Und die überfluege würde ich auch gut finden..

    LG die hippe

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