Israel is real

Lesedauer: etwa 4 Minuten

Es kommt nicht von ungefähr, dass Israel schnell mal mit Isreal auf der Tastatur verrutscht. Zufall oder nicht?

So ganz von der Hand weisen lässt sich dies nicht, denn der Israeli ist sehr real, sehr echt. Er erscheint ruppig. In der Lautstärke, in der er sich unterhält, in der Phonetik der Sprache, die er spricht, in den ausladenden Gesten, die er macht, in der Körpersprache, in der er kommuniziert. Immer schwingt etwas latent Rabiates für das sensible mitteleuropäische Gemüt mit.

Diskussion am Straßenrand
Streets of Tel Aviv

Der Granatapfelkernsaftzubereitungshändler, der mir seit einer Woche beinahe täglich einen Saft presst, ist wahrscheinlich so ein Paradebeispiel. Auf ein freundliches „Shalom“ meinerseits wurde anfangs nicht reagiert und wenn ich meine Bestellung abgab, wurde mit dem gegenüberliegenden Händler lautstark weiter diskutiert. Wortlos gab er mir den Becher und sammelte das Geld ein – weiterhin wild gestikulierend, seinen Gast nicht beachtend. Da der Saft ansonsten gut schmeckt, vergleichsweise günstig ist und der Stand am besten auf meiner täglichen Route gelegen ist, ging ich trotzdem regelmäßig hin. Mittlerweile begrüßen wir uns mit einem „Hello my friend“-Fistbump und gehen nach einem kurzen Smalltalk wieder auseinander. Wahrscheinlich ist er genauso wie seine Granatäpfel: Wenn die Hülle einmal gebrochen ist, gelangt man an die wahren Früchte. (Entschuldigung!)

Ein weiteres Beispiel. Pünktlich um 15:45 Uhr kam heute die Durchsage am Strand, dass dieser nun nicht mehr überwacht wird. Das nahmen die Strandwächter zum Anlass, unverzüglich die aufgestellten Sonnenschirme abzubauen, ungeachtet dessen, dass die Sonne noch schien und ob sich darunter noch Liegende befinden. Wortlos wurden darauf zum Trocknen abgelegte Bikinis heruntergezogen, auf die Handtücher der Gäste geworfen und der Sonnenschirm zugeklappt.

Doch niemand beschwerte sich. Ich glaube, der Israeli meint das nicht so. Tief in ihm ist er sehr herzlich, wie ich ja vermehrt schon schrieb. Selten habe ich freundlichere, aufgeschlossenere, interessiertere Menschen erlebt. Er ist halt wahrscheinlich nur ein bißchen ruppig, grobschlächtig auf den ersten Blick. Und er ist folgsam. War der Strand um 15:30 Uhr noch gut besucht, leerte er sich nach der Durchsage zusehends, obwohl die Sonne noch genauso schön schien wie 10 Minuten bevor.

Schere

Cut.

Nach meinem vorgestrigen Beitrag gab es vermehrt Fragen, wie es denn hier sei mit der allgegenwärtigen Gefahr, eine Rakete auf den Kopf zu bekommen. Ich möchte aus meiner – völlig subjektiv-naiven – Sicht schildern, wie man hier damit umgeht.

Aus welchen Gründen auch immer es zu den Konflikten kam: Konflikte im Gazastreifen, Konflikte mit den arabischen Staaten und zahlreiche weitere Brandherde machen die Menschen überdrüssig, beinahe gleichgültig. Wenn man wie hier jeden Tag mit der Gefahr leben muss, wird man wahrscheinlich so. Und konzentriert sich auf das Hier und Jetzt. In dem Buch, was ich gerade über das Leben in Tel Aviv lese (woraus übrigens auch die Überschrift dieses Blogartikels geklaut wurde) wird das unter anderem beschrieben mit der Gewichtigkeit der Berichterstattung in den Medien.

Jaffa

Während in Deutschland der Skandal, das Dramatische, die Sensationslüsternheit das Geschehen beherrscht, geht man hier nüchtern, beinahe stoisch mit den News um. Da reiht sich das aktuelle innenpolitische Geschehen ein in den alltäglichen Gossip oder den Sportergebnissen. Erneut wurde eine Rakete abgefangen? Okay, ich muss dann aber gleich noch etwas zu Essen einkaufen, denn heute Abend kommt Besuch.

Streets of Tel Aviv-Jaffa
Jaffa

Um mich in einem Chat von gestern Abend selbst zu zitieren: Ich kann nicht unterscheiden, wer in diesem Konflikt gut und wer böse ist. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung von alldem und sehe am Ende nur die Menschen. Die Bevölkerung ist aus seiner Geschichte viel Leid gewohnt, lebt mit der alltäglichen Bedrohung aus allen Ecken der Welt und schert sich daher nicht um das, was passieren könnte. „Lebe des Leben“ kommt da nicht von ungefähr und genau so sind sie speziell hier in Tel Aviv drauf.

Oder um es mit weiseren Worten auszudrücken:

Dobovisek: Wie haben Sie die Angriffe auf Tel Aviv heute Morgen erlebt?
Cohen: Es war ja nicht besonders schlimm. Eigentlich war das so, dass wir morgens Sirenen gehört haben. Die dauerten etwas länger. Und danach gab es dann Entwarnung. Es war eigentlich in Tel Aviv nichts. In dieser Blase des Wohllebens haben wir jetzt eine Minute lang mitbekommen, wie das Leben in und um Gaza herum eigentlich regelmäßig ist.

https://www.deutschlandfunk.de/israel-die-gemengelage-ist-gefaehrlich.694.de.html?dram:article_id=463252

Und so sind wir schlussendlich alle in dieser realen Welt und müssen mit den realen Begebenheiten klarkommen. Nicht, das was war. Nicht, das was kommt. Sondern das, was ist. Und das sind in dem Fall jetzt 0,66 Liter Granatapfelkernsaft von meinem neuen Kumpel.

Jaffa
Yaron River
Spiegelung

2 Comments

  1. hippe 14. November 2019

    Sehr gut erklärt, dieser vermeintliche Konflikt bzw. die Gefühlslage der Israelis derzeit.
    Auch wenn ich davon gar nicht allzu viel verstehe.
    Auf jeden Fall wieder ein kurzweiliger Bericht und schön zu lesen, dass Du einen neuen “Freund” hast.

    lg die hippe

  2. Olaf 14. November 2019

    Der Bericht, die Wortwahl, zu dem Erlebten, einfach genial und klassisch.
    Ich glaube, nur so lernt man dieses Land richtig kennen, indem man in den Menschen besser “reinschaut”, wie beim Granatapfelsaftpresser.

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