Hello Athen. Du, ich möchte dich heut noch sehen. Dort wo alles begann.
Keine Sterne in Athen,
Stephan Remmler – Keine Sterne in Athen
stattdessen Schnaps in Sankt Kathrein.
Ich hab den Urlaub nicht gewollt,
du hast gesagt, es müsste sein.
Rekordtemperaturen in Deutschland, mancherorts wird die 40-Grad-Marke geknackt. Zeit für eine Abkühlung. Also packte ich kurzerhand meinen Koffer, entfloh der Hitze und nahm mit: Klamotten für zwei Tage und Eulen. Eulen? Ja, denn die wollte ich nach Athen tragen. Es geht in die griechische Hauptstadt, um etwas am Busen der Demokratie zu nuckeln. Dort, wo alles begann.
Und ich sag nur „Hello Athen“.
Frei nach Franz von Suppé „Du bist verrückt mein Kind, du musst im Sommer nach Athen“ machte ich mich also temperaturmäßig auf das Schlimmste gefasst und bestieg um 5 Uhr morgens die S-Bahn, die mich nach Tegel bringen sollte.
Und es begann überaus entspannt: 45 Minuten vor Abflug am Gate A02, welches im Gegensatz zum Terminal C verwaist und demnach die Sicherheitskontrolle innerhalb von zwei Minuten vollzogen war. Dazu kommen die kleinen Freuden des ansonsten Billigfliegerreisenden: Es gibt hinreichend Sitzplätze am Gate und sogar kostenfreie Tageszeitungen.
Die Entspannung setzte sich im Flieger fort, denn die Hinreise durfte ich mit Swissair bestreiten, wo einem glücklicherweise Bingo, Spendenaufrufe und pferchähnliche Zustände verwehrt bleiben.
Es wurden stattdessen Vanilletörtchen, Süßigkeiten und eine Art Käsequiche gereicht, das Bordprogramm war gut bestückt und so musste die erste schwere Entscheidung des Tages getroffen werden: Bohemian Rhapsody gucken oder den Flug über die Alpen und Adria genießen? Ich entschied mich für Richard Strauss’ „Heldenleben & Rosenkavaliersuite“ aus dem Bordprogramm und dem Privileg, über den nicht vorhandenen Wolken diese wunderschöne Welt anzuschauen.
Und so verließ ich mit einem wohlgesättigten Magen das Flugzeug und betrat pünktlich zur Mittagszeit um 12:46 Uhr griechischen Boden. Kalimera! Bereits auf dem Flug gab der Käpt’n durch, dass es mit 30°C und einem lauen Lüftchen nicht so heiß ist wie in Zürich. Zum Glück hatte ich ein Jäckchen dabei…
Hello Athen.
Keine nervige Ausweiskontrolle, weder in Deutschland oder Griechenland, kein nerviges Geld tauschen. Einfach den Ausgang suchen, ein Ticket für den Bus X95 ziehen und man ist nach einer Stunde Fahrt durchgerüttelt am zentralen Syntagma-Platz. „Hello Athen“, ich sag’ einfach, „Hello Athen“. Du, ich möchte dich heut noch sehen, dort wo alles begann.
Da ich nur leichtes Gepäck dabei hatte, konnte die Reise sofort starten. Zunächst ging es durch die Häuserschluchten gen Gazi, einem überaus beeindruckenden alternativen Viertel im nördlichen Teil des Zentrums. Üppige Funktionsgebäude, Lagerhallen und leer stehende Fabriken säumten die Straßen und versprühten einen Hauch von Los Angeles – zumindest wie ich es mir vorstelle oder aus Filmen kenne. Anfang der 2000er wurde das Areal zu einem Ausgehviertel umgenutzt mit seinem Zentrum „Technopolis“ – einer alten Gasanstalt – das mittlerweile ein Industriemuseum und zahlreiche Veranstaltungs- und Ausstellungshallen beherbergt.
Nach einem überaus delikaten Oreo-Milchshake in Thiseio ging die Reise weiter nach Plaka, eines der ältesten Viertel Athens am Fuße der Akropolis. Und entsprechend auf Tourismus eingestellt: Märkte mit allerlei Devotionalien, die Tourist von Welt als Souvenir kauft, seinen Liebsten schenkt und die diese dann im Regal verstauben lassen. (Römische Ritterrüstungen in Griechenland? Ich dachte, die Zeiten wären vorbei. Oder hat das was mit dem griechisch-römischen Stil zu tun?) Restaurants mit fünfsprachiger Speisekarte. Perlenkettenverkäufer, die sich freuen, dass man aus Berlin kommt, weil sein Bruder in Frankfurt wohnt. Kenn’wa alles schon, alles schon mal da gewesen.
Weiter ging es nun per bequemen Fortbewegungsmittel über eine achtspurige Autobahn mitten durch die Stadt gen Uferpromenade. Bewaffnet mit einer Cola, Bier und einer frischen Dose Deodorant – ein Hoch auf die 100 ml-Beschränkung im Handgepäck – musste ich feststellen, dass es in Athen gar nicht so einfach ist, eine Art Strand zu finden. Und so sah ich lediglich die rote Sonne auf Capri über den Hügeln von Piräus im Meer versinken.
Überraschungsmenü für Einheimische
„Der Weg zum Griechen immer lohnt, auch wenn er etwas weiter wohnt.“ wusste nicht nur Terence Hill zu berichten. Dies gilt ebenso in kulinarischer Hinsicht. Und so kam es, dass auf einmal eine Speisekarte vor mir lag, deren Inhalt sich mir nicht erschloss. Also gab es ein Überraschungsmenü typisch griechisch-kretischer Kost: Eine Art Bruscetta (Ntakos), Makaroni mit Tomaten-Schweinefleisch (Skioufihta), gefüllte Weinblätter auf Öl-Tzatziki-Dill-Bett (Dolmadakia), frittierter Käse (Saganaki) und irgendwas mit Ei und Tomate (Strapatsada). Und es war alles fantastisch! Dass das Restaurant weder eine Webseite noch auf Google Maps zu finden, zeugt von wahrer Insiderqualität. Falls ihr jedenfalls mal in Athen sein solltet: Fragt nach O Andrikos im Viertel Palaio Faliro.
Marathon
Der nächste Tag wurde in einer klassisch-griechischen Disziplin vollbracht: Marathon durch die Stadt. Irgendwie musste ich ja die Eulen nach Athen tragen. Es begann mit einem Ritt durch das noble Viertel Kolonaki auf den Aussichtspunkt Lycabettus. Unter sengender Hitze mit Müh und Not erreichte der Erlkönig den Hausberg Athens – und wurde belohnt mit einem phänomenalen Ausblick über die Stadt. Irgendwo da unten muss sie sein, die Wiege der Demokratie.
Dimako
Herunter ging es wieder in Richtung Zentrum durch ein weiteres alternatives – wenn nicht sogar eines der revolutionärsten – Viertels Athens namens Exarchia, was durch zahlreiche Murals und deren politischen Botschaften seine Geschichte darstellt und gewissermaßen aufarbeitet: Eines der aktuellsten und berühmtesten ist das Konterfeit von Zak Kostopoulos, einer Drag-Queen und Gay-Aktivisten, der 2018 unter immer noch ungeklärten Umständen in diesem Viertel umgebracht wurde.
„No Land for the Poor“ widmet sich den Armen und Obdachlosen der Welt und ich spüre zum ersten Mal, warum mancherorts kolportiert wird, dass Athen als das Berlin der 90er gesehen wird.
Um sich der Strahlkraft dieses revolutionären Viertels – die amerikanische Botschaft hat eine offizielle Reisewarnung für dieses Viertel ausgesprochen – bewusst zu machen: Ein designierter Kandidat der Regierung kam im Schutze der Nacht um 6 Uhr morgens (!) mit seinem Securitygefolge auf den Exarchia-Platz und erklärte mit zitternder Stimme, dass der Ort mit seiner Partei „Nea Dimokratia“ endlich wieder ein normaler Platz würde. Ging wieder schnell von dannen und wurde (zurecht) in der Szene verhöhnt.
Der folgende Artikel bringt die Stimmung gut auf den Punkt:
Exarchia soll den Mikrokosmos der großen Konflikte innerhalb der griechischen Gesellschaft repräsentieren; die Polizei gegen die politisierte Jugend; die alte gegen die junge Generation; der Staat gegen die Armen und Marginalisierten; die politische Elite gegen die strenge Bevölkerung.
https://www.itinari.com/de/street-art-and-counterculture-in-exarchia-t1zz
Break und kurz durchschnaufen.
Ich erwähnte den Marathon. Da darf natürlich auch nicht das historische Panathinaiko-Stadion fehlen, was auf den klangvollen Namen „Schöner Marmor“ im Griechischen hört und auf der direkten Wegstrecke des nächsten Ziels liegt: Am Fuße der Akropolis.
Einer der wenigen naturbelassenen und unaufgeregten Stellen Athens ist der Philopappos-Hügel – schließlich stapelt sich der Tourist eher auf der gegenüberliegenden Akropolis. Also wurde dort gerastet, eine weitere kalte Cola im Schutze eines schattigen Hartlaubgewächses getrunken und dem Wusel der Stadt entflohen. Herrlich. Ähnlich verhielt es sich gegenüber am Areopagus-Hügel. Von dort kann man den Wahnsinn wunderbar betrachten, wie sich die Touristen lemminghaft die Stufen der Akropolis hinaufschlängeln.
Letzte Station des Tages im Zeichen des Marathons sollte das alte Olympiagelände nahe des ehemaligen Flughafens Athen-Ellinikon sein. Als Freund der Lost Places ein Muss. Doch es kam das Skipper’s dazwischen, eine lauschige Bar an einer der zahlreichen Marinas. Und ich lernte neben Cheesy Lines, dass Κοτόπουλο nicht nur ein wohlschmeckender Salat ist, sondern auch πουλο ein ziemlich schlimmes Schimpfwort. Wie auch immer.
Jedenfalls muss das Heartland bzw. der Dark Sun Club bis zum nächsten Mal auf meinen Besuch warten, denn es wurde vorgezogen, den Abend bei einem Bier an der nahegelegenen Stadtautobahn in Hörweite einer türkischen Form des Sirtakis ausklingen zu lassen.
Und wie ist Athen nun?
Athen stand auf meiner Bucket List ziemlich weit unten. Zu sehr ließ ich mich von Fotos, Reiseberichten oder der eigenen Engstirnigkeit beeinflussen. Ich habe weder den Patros-Onkel noch Vicky Leandros gesehen. Dafür mit umso herzlicheren Menschen den Tag verbracht, die mich in ihre Welt eintauchen ließen und der Kultur, Sprache und Lebensart nahe brachten. Athen ist eine ungeheure Stadt voller Historie, politischer Brisanz und dennoch einer mediterranen Gelassenheit. Sie ist laut. Sie ist rauh. Ist ein heißes Moloch. Doch wenn man einmal eintaucht, offenbart sie sich als liebenswertes Wesen, was nur nach Anerkennung dürstet. Eine Art Berlin der 90er. Greece normally. And I feel dimoulized.
Auch wenn ich viele Worte nicht so richtig deuten konnte… Dein Schreibstil ist wieder ein mal so herrlich!!
Vor allem, wenn man weiß, dass Du ja wirklich eine kurze Zeit dort verbracht hast, was man da alles anstellen kann und Land und Leute kennenlernt dabei.
ZU den Fotos: alle wunderschön, aber das Foto aus dem Flieger mit den vielen übereinander gestapelten Wolken.. hach… das gefällt mir so richtig richtig gut.
lg die hippe
Ach, wie herzerfrischend dieser Kurztrip beschrieben ist.
Eine Stadt, die neugieririg macht und auf jedenfall gefallen hat, vor allem abseits des großen Tourismus.
Sehr schön eingebunden, bestimmte Vergleiche.