Alter Schwede. Ein Mai-Wochenende in Stockholm.

Lesedauer: etwa 7 Minuten

Ein Mai-Wochenende in Stockholm. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass ich ähnliche Breitengrade besuchte und hatte diese temperaturmäßig als lauschig-angenehm in Erinnerung. Doch die Wettervorhersage ließ die kalte Jahreszeit zurückkehren: Sonnige 9° C tagsüber bei -1° C nachts. Zum Glück waren es in Berlin ebenso spätwinterliche 11 Grad, so dass ich die Winterjacke entmotten und transpirationsfrei zum Flughafen tragen konnte.

Anflug auf Stockholm

Ein ereignisloser Flug warf mich ins Land der Lichter und Lenker geradewegs zum Arlanda Express, der mit 185 km/h in 18 Minuten den Flughafen mit dem Hauptbahnhof Stockholms verbindet. Da kann man auch schon mal 295 SEK – also knapp 30 EUR – verlangen.

Angekommen am Bahnhof zückte ich mein Telefon. Wo muss ich überhaupt hin? Booking.com sprach: Zu einem zwei Kilometer entfernten Hotel im Stadtteil Sibirien. Der Name passte jedenfalls temperaturtechnisch. Und so konnte ich schon mal ein wenig in die Stadt eintauchen. Ausgerüstet mit einem Hot Dog ging es die Einkaufsstraße Drottninggatan hinauf – die Straße, in der damals der fürchterliche Anschlag stattfand. Daher ist der Weg auch umsäumt mit schweren Steinskulpturen und Inschriften auf dem Boden.

Drottninggatan

Klein, aber fein. So lässt sich das Zimmer im Hotel Hansson beschreiben. Ja, Hotel. Dazu noch heillos teuer, da mein Airbnb Host eine Woche vorher wegen dringender Renovierungsarbeiten die Buchung stornieren musste. Andere Hosts stört sowas nicht… Wie dem auch sei – Tasche und anderen körperlichen Ballast abgeworfen und hinein ins Getümmel. Schließlich sollen Prinzessin Sofia, Linn Berggren und Agnetha Fältskog nicht umsonst warten.

Hotelzimmer
Öl

Dem Schweden wird nachgesagt, dass ihm nichts über seine Fika geht, simpel ausgedrückt eine Kaffeepause. Dazu gibt es meist Gebäck, die sog. Kanelbullar oder auch Zimtschnecken. Und der Schwede wäre nicht der Schwede, wenn hieraus nicht auch diverse Variationen entstehen würden. Und so fand ich mich in der Fabrique wieder, einer kleinen schnuckligen Bäckerei, der neben wunderbar aussehenden Bäckerinnen Brot diese Köstlichkeiten perfektioniert hat. Die Auslage versprach Bullars mit Zimt, Vanille, Safrancreme, Zuckerstreusel. Und Kardamon. Hiervon hatte ich mir tags zuvor schon einen weniger schmackhaften in einem 7-Eleven gekauft und war weniger angetan. Diesmal wollte ich einen frischen probieren. „One Kardemummabullar and one of these with vanille“, sprach’s und nestelte einen Schein aus der Hosentasche. „We only accept credit cards.“ Uhlala. Vor meinem geistigen Auge befand ich mich in der Parallelwelt einer deutschen Bäckerei und stellte mir die pampigen Blicke der Verkäuferin vor, wenn ich auch nur mit einem 50 Euro-Schein ankomme, geschweige denn mit Karte bezahlen möchte. Also zückte ich erzückt die Karte und ruckzuck hatte ich das Zuckergebäck im Gepäck und probierte das Glück. Zurück zu Lück.

Und was soll ich sagen: Ein Traum! Saftig, nicht zu süß und eingearbeitet in den Teig ein Hauch von Kardamon.

Kardamonbullar

Überhaupt: Das mit dem Essen können sie. Jedenfalls musste ich nicht darben. Hier einen Hot Dog, dort ein Karamellgebäck, da noch einen Bullar. Und schon kam man gut über den Tag, so dass sich meine Hauptmahlzeit auf das Frühstück verlagerte. Hier entwickelte sich ein gewisses Ritual. Meist war ich der Erste am reichhaltigen Frühstücksbuffet (Hotelaufenthalt sei Dank) und konnte aus dem Vollen schöpfen. Neben den üblichen Speisen gab es noch eine schwedische Besonderheit, der ich mich trotz der immens frühen Stunde nie entziehen konnte: Eingelegter Hering. Dazu Schnittlauch-Butter-Brot und saure Gurken. Ein Gedicht! Vor dem Süßspeisengang ging es meist noch mit zwei Pötten Kaffee an die frische Luft – denn der Obdachlose, der beinahe täglich vorbeilief und mich um eine Zigarette bat, sollte auch ein wenig vom Büffet profitieren.
Den Magen prall gefüllt begab ich mich wieder aufs Zimmer und ging über in den wohlverdienten Vormittagsschlaf, schließlich war es meist gerade mal 8 Uhr und die Stadt noch nicht bereit für mich. Beziehungsweise ich für sie.

Los geht’s!

Über die Magistrale Sveavägen kommt man direkt ins Zentrum der Stadt. Und kann zum ersten Mal spüren, warum der Stockholmer sagt, dass es keinen Krieg braucht, um Gebäude zu zerstören und städtebaulich umstritten neu zu gestalten.

Stockholm
Stockholm
Stockholm
Stockholm

Oppan Gangnam style

Hat man diese Passage hinter sich gelassen, eröffnet sich die gesamte Pracht Stockholms. Die Altstadt Gangnam style Gamla Stan, die Halbinsel Blasiholmen mit seinem opulenten Grand Hotel und auf der westlichen Seite Kungsholmen mit dem Rathaus der Stadt.

Stockholm
Stockholm
Stockholm
Stockholm

Für den Glasharfenisten, der Jingle Bells spielte hatte ich nur ein anerkennendes Nicken übrig und ging weiter. Hindurch die Altstadt, erstmal einen Überblick verschaffen und ans Wasser. Von dort sah ich einen Aufzug, der das oberhalb der Stadt befindliche Södermalm mit dem Ufer verbindet. Also hin da, vorbei über verschlungene Pfade an einer gigantischen Baustelle, die das untere Zentrum für den Bau eines neuen Umsteigeknotens durchschneidet. Und ich ahne: Hier sind Profis am Werk.

Stockholm

Södermalm an sich ist ein wenig spektakulärer Stadtteil, der zunächst nicht viel von seinem alternativen Charme versprühte, wie er sich mir in irgendeinem Artikel darstellte. Oder ich habe die falschen Ecken gesehen. En passant wurde die weithin sichtbare Högalidskirche mitgenommen und über den Uferweg der Stadtteil gewechselt: Es ging gegenüber auf die Insel Kungsholmen, auf der sich allmählich die Strandbars sommerfein machten und ihr Mobiliar der Witterung aussetzten.

Stockholm
Stockholm
Stockholm

Deutscher Wikinger erobert China.

Als guter Tourist muss man auch die Wahrzeichen der Stadt erklimmen. Und wo geht das besser als auf dem Rathausturm? Die noch üppig vorhandenen Barreserven wurden endlich unters Volk gebracht und ein Ticket geholt. Während ich die Wartezeit überbrückt und im Park auf meinen Slot gewartet habe, sprach mich eine Chinesin an, ob sie ein Foto mit mir machen könne. Wahrscheinlich wollte sie in der Heimat vor ihren Freundinnen mit einem echten Wikinger prahlen. Eventuell hätte ich ihr nur nicht sagen sollen, dass ich aus Berlin komme und auch nicht in Schweden arbeite. Jedenfalls zog sie mit einem flüchtigen „Enjoy your stay“ nach dieser Information schnell wieder von dannen.

Stockholm

Eine kurze Aufzugfahrt später blickte ich nun von oben auf die Stadt und der Eindruck manifestierte sich, dass große Teile der Innenstadt durch breite Magistralen regelrecht durchschnitten werden. Das Leitbild der autogerechten Stadt machte also auch vor Stockholm nicht Halt.

Stockholm
Stockholm
Stockholm
Stockholm
Stockholm

In der Ferne erspähte ich den Ericsson Globe, eine mir als Eishockeyinteressierter durchaus aus Funk und Fernsehen bekannte Halle. Also beschloss ich, Globen City zu besuchen.

Stockholm
Stockholm
Stockholm

So vergingen die Tage rasch und ich musste die Heimreise antreten. Was man erst mitbekommt, wenn man sich a) entweder vorbereitet oder b) schon in der Stadt ist: Günstiger – und auch weniger laufintensiv – ist es, mit dem Pendeltåg, der S-Bahn, zum Flughafen zu fahren. Dauert zwar auch ne knappe halbe Stunde länger, kostet hingegen nur die Hälfte (120 SEK). Dieses gesparte Geld kann man dann wunderbar in ein Bier im Flughafenrestaurant investieren, was den Differenzbetrag zum Ersparten dann auch ziemlich genau ausmachte.

Summa summarum: Stockholm ist eine durchaus schöne Stadt, aber ich kam nie richtig rein. Es ist alles fußläufig und schnell erkundbar, zahlreiche Museen sorgen für Abwechslung und die Menschen sind angenehm entspannt. Jedoch hat mir etwas nicht Bezifferbares gefehlt, was ich bspw. in anderen skandinavischen Ländern so mochte. Aber was noch viel schlimmer ist: Ich habe weder Prinzessin Sofia noch Linn Berggren getroffen. Dafür spürte ich den Hauch von Greta Thunberg, denn auch in Stockholm gibt es selbstverständlich die „Fridays for future“-Demos. Und so betrat ich das Flugzeug mit einem schlechtes Gewissen, um nach fünf Tagen Stockholm wieder zurückzufliegen.

Stockholm
Stockholm
Stockholm
Stockholm

One Comment

  1. conny 8. Mai 2019

    Hach, wie habe ich mich auf diesen Bericht gefreut und ich wurde wieder einmal nicht enttäuscht.
    So kurzweilig wie immer geschrieben. Man ist einfach mittendrin, anstatt dabei.
    Die Bilder sind auch wieder wunderbar.
    Deine Schlaf- und Essgewohnheiten… daran muss man sich erst gewöhnen. Aber schlie0ßlich bist Du ja auch nicht mehr der Jüngste *lach*.

    lg die hippe

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