Salzig schmeckt der Wind

Lesedauer: etwa 4 Minuten

…hol die Buddel aus dem Spind //
und auch dein Akkordeon! //
Singen wir Lieder auf das Meer, //
auf die Liebe, bittesehr!

https://www.youtube.com/watch?v=vP-cNZmbZhI

Doch der Reihe nach. Tag 3 und ich kann mein drittes hebräisches Wort: Lachaim, was so viel heißt wie „Prost, auf das Leben“. Wenn das in diesem Tempo weitergeht, bestehe ich kurz vor der Rente den israelischen TOEFL-Test.

Der Morgen begann stürmisch. Durch die Ost-Süd-West-Ausrichtung der Terrasse, die meine Wohnung umgibt, pfiff leise der Wind durch die Fensterritzen. Pffffzzzzzzz. Aus dem leisen Wind wurde eine steife Brise, als ich die Terrassentür öffnete und die Außenwelt betrat. Fast schien es, als peitschten die Wellen gegen das Gebälk. Salzig schmeckt der Wind. Der Spuk war nach kurzer Zeit vorbei und nun übernahm einzig der Sonnenwind die Kontrolle. Also flux Teewasser aufgesetzt, die kurze Hose angezogen, die traditionell bejeansten Albinobeine mit der gestern noch erworbenen Sonnenmilch eingesprüht und mit dem Brühgetränk ein Sitzmobiliar eingenommen. Der Tag kann reifen.

Der Blick in den Kühlschrank verriet, dass ich es gestern abermals versäumte, Lebensmittel einzukaufen. Lediglich eine Flasche Wasser buhlten mit einem Stück Butter und sechs Eiern um Aufmerksamkeit. Niemand gewann. Also tauschte ich meinen Platz an der Sonne gegen einen Besuch auf dem Markt. Shakshuka, heute bist du fällig! Durch Todds gestriger präziser Navigation durch die Gassen ging ich schnurstracks zu Neli, der Shak(shuka)warenverkäuferin. Während die Tomaten-Paprika-Eispeise vor sich hinblubberte, plauderten wir ein bißchen und ich erfuhr, dass sie den Job erst seit fünf Monaten macht und vorher mit ihrem Freund im Drohnenfilmgeschäft tätig war. Der Weg vom Cineast zum Kitchen-As geht manchmal ganz schnell.

Shakshuka

Multilingual wurde es, als sich zwei Damen an den Tresen gesellten und die Kommunikationssprache vom Englischen ins Französische wechselte. Ein „Bonne journée“ später kamen zwei nette Herren hinzu und liebäugelten mit den Speisen, die sich vor mir befanden: Besagte Shakshuka, Pita, eingelegtes Gemüse und ein Sesam-Kräuter-irgendwasmitscharf-Dip. Ich riet zu und schon kamen wir ins Gespräch. Touristen aus Amsterdam, diese Nacht um 4 Uhr angekommen, erste Mahlzeit des Tages, bleiben bis Dienstag. Business as usual. Und ich war erneut erstaunt über meine neu entdeckte Offenheit gegenüber fremden Personen. Das scheint die Seeluft zu sein.

„Whenever you come, you will get a fresh peppermint tea.“

Als ich endlich zahlen wollte, kam Neli noch mit einem frischen Pfefferminztee um die Ecke, den sie dem benachbarten Gemüsehändler abluchste. Nach weiteren Plaudereien lernte ich schließlich auch mein erstes israelisches Wortspiel kennen: Kzitzria. So heißt der Laden und leitet sich ab aus Pizzeria und Chicho, den Fleischbällchen. Nun ja, da ist noch Luft nach oben.

Und so schlürfte ich den Tee aus, bezahlte, zog wieder von dannen und stattete Miki, dem Barista, einen Besuch ab. „Your fashion style is not the typical Israelian style. I love it.“ sprach’s und schon waren wir nach „Two turkish coffee, please. One for you and one for me.“ im Gespräch: Ob ihm als Barista nicht das Herz blutet, wenn er diese unsäglichen Nespressokapseln verkauft. Über neue Bohnen aus Italien, die er gerade importiert hat. Die hohe Kunst des Milchschaums und die gezauberten Muster im Kaffee.

Endlich wieder liquide!

Nachdem alle Geldreserven in Shakshuka, Kaffee und Zigaretten investiert wurden, musste ich die Geldspeicher neu auffüllen – schließlich wollte ich noch eine Investition tätigen und als guter Neubürger Tel Avivs auch eine israelische Telefonnummer samt mobilem Internetzugang besitzen. Problemlos wurde mir alles gewährt und so konnte ich meinem eigentlichen Tagesplan nachgehen.

Denn Donnerstag ist Strandtag

Also zog ich die Schuhe aus, entsprang dem Sockwerk und stapfte kilometerweit durch den feinen Sand. Vorbei an den prächtigen Hotelbauten, verlassenen Standhütten und einsamen Strandliegen, um in die Webcam des Sheratons zu winken. Begleitet von einer steifen Brise, die nunmehr wieder aufzog und das offen getragene Haar atmen ließ. Auf einer Mole ließ ich mir die Gischt ins G’sicht treiben und schmeckte erstmals das salzige Mittelmeer auf meinen Lippen. Salzig schmeckt der Wind, hol die Buddel aus dem Spind. Und auch dein Akkordeon.

Am Strand von Tel Aviv
Am Strand von Tel Aviv

Es wurde kein Akkordeon, aber eine Buddel Wasser und eine Hülse Bier, unter deren Einfluss ich nun diese Zeilen verfasse. Viel hab ich noch nicht gesehen von der Stadt, aber dafür umso mehr erlebt. Und umso mehr bin ich in den Mikrokosmos eingetaucht. Was ich jetzt noch herausfinden muss: Selbst am dritten Tag habe ich noch nicht verstanden, wie man am elegantesten ins Badezimmer kommt, ohne irgendwelche Handtuchhaken aus der Verdübelung zu reißen. Doch auch das wird zu meistern sein. Lachaim.

2 Comments

  1. conny 14. Februar 2019

    Da haben ja Deine “bejeansten Albinobeine” *lach* schon allerhand gesehen und erlebt..
    Wieder ein kurzweiliger Bericht, von dem man echt den Eindruck hat, dass alles, was bisher geschehen ist vollkommen richtig war. Weiter so!
    Und große Freude über den morgigen Bericht samt Fotos.

    lg die hippe, die froh ist, dass es Dir gut zu gehen scheint…

  2. […] einem Dosenbier in der Hand tat ich es der Dame aus dem gestrigen Beitragsbild gleich, setzte mich in einen Strandstuhl, ließ mir die Brise um die Nase wehen und beobachtete das […]

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