Neapel sehen…

Lesedauer: etwa 7 Minuten

Neapel ist ein Paradies, jedermann lebt in einer Art von trunkner Selbstvergessenheit. Mir geht es ebenso, ich erkenne mich kaum, ich scheine mir ein ganz anderer Mensch.“ — So beschrieb es einst schon Herr Goethe auf seiner Italienreise, wo er 1787 in der süditalienischen Stadt Halt machte. 231 Jahre später wollte ich es ihm gleichtun. Goethe hatte damals keine Billigflieger zur Verfügung. Es kann also mit Fug und Recht behauptet werden, dass ich einen klaren Zeitvorteil ihm gegenüber hatte: Goethe blieb schließlich auch 13 Tage in der Stadt und ich nur 5.

Und so kam es, dass ich mich an einem Mittwoch Morgen auf meine Kutsche schwang, um mit 180+1 Gefährten und 900 km/h gen Süden zu reisen. Neapel: Sonnenschein. 26 Grad. Das Haar sitzt. 5 Euro in den Ali-Bus investiert, der nonchalant das tägliche Verkehrchaos umschiffte und uns in 20 Minuten am Hauptbahnhof ausspuckte. Weiter mit der U-Bahn zur Station Materdei. Es war mittlerweile 10:30 Uhr: Frühstückszeit. Auf dem Weg zur Herberge fiel uns ein kleines Lädelchen in die Augen, welches allerlei frittierte Waren offerierte. Die Wahl fiel auf eine Art herzhafte Krapfen mit zwei Würstchen und Pommes Frites als Inhalt. Ein Essen, was um diese Uhrzeit dem Mann von Welt eine glückliche selbige beschert. Next stop: Bezug der Herberge, der angeschlossenen Dachterrasse und einem kühlen Nastro Azzurro.

Neapel

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Erste Eindrücke

Nach einem kurzen Mittagsschläfchen musste sich ein erster Eindruck der Stadt geschaffen werden, die von hoch droben bereits ihre raue Schönheit offenbarte. Aufmerksame Leser dieses kleinen Blogs ahnen es bereits: Tourist von Welt strebt zunächst gen Wasser. Da dies Luftlinie etwa 3 Kilometer entfernt war, wurde die Hauptmagistrale zum Zentrum flaniert, vorbei an prächtigen Galerien, bunten Häusern, opulenten Plätzen und roughen Hafenanlagen. Die kulturhistorische Bremse war noch angezogen und so wurden die Locations lediglich zur Kenntnis genommen und einfach so ins Stadtleben eingetaucht. Der obligatorische Espresso – der in Italien einfach nur „Caffè“ heißt – samt einer zuckersüßen Pistazienmascarpone durfte ebenso nicht fehlen wie die Pizza Napoli, auch wenn diese als nicht auf der Speisekarte befindliche Geheimpizza freigegeben wurde. Und so endete der erste Tag mit dem Blick in die Ferne über die Lichter der Stadt hin zum Vesuv.

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Mit Schnapskaffee gegen den Regen

Tag 2 begann in einem lauschigen Café und einem – wie es sich durch alle Menschen der Stadt zog – sehr freundlichen und hilfsbereiten Kellner, der geduldig alle Speisen beschrieb, die seine Auslage anbot. Die Wahl fiel auf einen Caffe Latte, diverse ortstypische Backwaren. Und Schnapskaffee. Schließlich musste der einsetzende Regen schöngetrunken werden.

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Was tun an einem wider Erwarten regnerischem Tag? U-Bahn-Fahren geht immer. Schließlich rühmt sich Neapel damit, renommierte Künstler beauftragt zu haben, die schönsten U-Bahnhöfe der Welt ihrer neu errichteten Linie 1 zu verzieren. Wie soll ich sagen? Es war… okay.

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Vom Bahnhof Garibaldi weiterziehend kamen wir durch verwinkelte Gassen irgendwie zur einzig touristisch erschlossenen Hauptmeile. Der Krippenstraße „Via San Gregorio Armeno“, einer Straße voller Tinnef, mit den Konterfeits bekannter Fußballer, Politiker und Vereinen bedruckten Klopapierrollen, Kühlschrankmagneten, Chilianhängern. Und Weihnachtskrippen. Muss man mögen.

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An der Südküste dann die Promenade runter, wo schon der Budenbesitzer wartet. „Guten Tag, zwei Bier bitte!“ Der Blick ist nicht entartet. Das Abendessen hingegen schon. Denn die hungrigen Mäuler bestellten übersprungshandelnd jeweils sechs frittierte Etwas, was sich als Kartoffelbrei und Undefinierbares gefüllt mit Mozzarella herausstellte.

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Lösen der kulturhistorischen Bremse

Der nächste Tag stand ganz im Zeichen des Lösens der kulturhistorischen Bremse. Es ging nach Pompeji an den Fuß des Vesuvs, um später die Eindrücke bei einer gepflegten Partie Fußball Revue passieren zu lassen. So zumindest der Plan. Beides fiel in gewisser Weise ins Wasser. Regnete es in Pompeji lediglich in Strömen, strömten zum Klassiker SSC Neapel gegen den FC Empoli so viele Zuschauer, dass für uns zwei Recken kein Tribünenplatz mehr übrig blieb. Und so standen wir am Pommesbüdchen vor dem Stadion und unterhielten uns mit Lasi aus Gambia.

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360° über der Stadt

Tag 4: Endlich Sonnenschein! Es ging auf das Castel Sant’Elmo, das einen Rundumblick über die Stadt und seinen angrenzenden Inseln feilbot. Auf Capri versank zwar nicht die rote Sonne im Meer und auch der Rücken von Ischia blieb stabil, doch Neapel präsentierte sich noch einmal von seiner schönsten Seite.

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Going Camorra

Der letzte Tag wurde dazu genutzt, auf den Spuren des ehemaligen Camorra-Clans „Misso“ zu wandeln, deren Areal bis Mitte der 90er Jahre noch zu einer No Go-Area für Touristen zählte. Zahlreiche Märkte und Läden erzeugen viel Leben auf der Straße und es bleibt lediglich mutzumaßen, dass nicht alle Umsätze dort regulär an den Staat versteuert werden. Wie dem auch sei: Ein ebenso interessantes, wenn auch ärmliches Viertel, das seinen Reiz im Wissen um seine Verruchtheit besitzt.

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Und, wie war jetzt Neapel?

Fantastico! Neapel ist keine Stadt, in der man mit Sandalen, Caprihosen Bermudashorts und Hawaiihemd herumlaufen sollte. Es ist laut, es ist rauh, es ist stressig. Die Stadt hat das Müllproblem von 2008 einigermaßen in den Griff bekommen und ist mittlerweile einigermaßen sauber. Es ist keinesfalls touristisch, Straßenhändler wenig sichtbar bzw. aufdringlich und bis auf wenige Souvenirläden wirkt alles sehr authentisch und originär. Den beinahe täglichen Verkehrskollaps und das Menschengewusel muss man genauso ertragen wie verrückte Mopedfahrer, die durch die engen Gassen zwischen den Menschen umherbrausen. Doch die Einwohner sind gelassen, überaus zuvorkommend, freundlich, interessiert. Schließlich juckt es sie auch nicht, am Fuße eines aktiven Vulkans weiterhin verbotenerweise Siedlungen zu errichten. Doch gerade diese Mischung aus dem Alten, Morbiden, Verfallenen und der italienischen Dolce Vita macht Neapel zu einer überaus reizvollen Stadt, die sich ziemlich weit vorn auf der Visit-Again-Liste platziert hat.

Oder um Goethe zu zitieren: „»Vedi Napoli e poi muori!« sagen sie hier. »Siehe Neapel und stirb!« Daß kein Neapolitaner von seiner Stadt weichen will, daß ihre Dichter von der Glückseligkeit der hiesigen Lage in gewaltigen Hyperbeln singen, ist ihnen nicht zu verdenken, und wenn auch noch ein paar Vesuve in der Nachbarschaft stünden.

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4 Comments

  1. […] Metropolitana di Napoli ist das U-Bahn-Netz Neapels. Wobei der Begriff Netz übertrieben ist, besteht sie doch nur aus bislang einer richtigen Linie, […]

  2. […] einer eine Reise nach Neapel tut, dann muss er auch Pompeji erleben. Und so schwang ich meine Hufe in Richtung Bahnhof […]

  3. […] und trug jeweils dazu bei, dieses vielfältige Europa ein bißchen mehr zu verstehen. Manchester, Neapel und Kiew erstaunten mich total, Stockholm, Sofia und Marseille weniger. Eventuell lag das aber auch […]

  4. […] Athen gar nicht so einfach ist, eine Art Strand zu finden. Und so sah ich lediglich die rote Sonne auf Capri über den Hügeln von Piräus im Meer […]

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