Karlovy Vary, eine böhmische Rhapsodie

Lesedauer: etwa 6 Minuten

Ein knappes dreiviertel Jahr ist es nun her, dass ich eine Reise antrat – alles außerhalb der Berliner Stadtgrenzen erschien für Monate unerreichbar. Diesem Mangel wollte ich nun entschieden entgegen treten und mich in den Hotspot der Mondänie begeben. Vom Basislager Plauen ging es nach Karlovy Vary, der Stadt gewordenen Datscha russischer Oligarchen in Tschechien.

Die Planung der Reise bedurfte bedeutend mehr Vorbereitung, als ich sie jemals für eine Flugreise innerhalb Europas tat. Bahn.de hatte kurzfristig keinen Preis in petto, ich fand irgendwo ein Sachsen-Böhmen Länderticket, was jedoch erst ab 9 Uhr galt und dann entdeckte ich das egronet Ticket, was Sachsen mit Bayern und Böhmen verbindet. Die Webseite war jedoch, was Verbindungsauskünfte betraf, noch irgendwo in der Anfangszeit des Internets angesiedelt. Und so ging ich in die Zentrale der örtlichen Verkehrsbetriebe, die mir lediglich einen Flyer mit einer Hotline in die Hand drückte.

Lange Rede, kurzer Sinn und so fand ich mich schließlich um 8:33 Uhr am Haltepunkt Plauen/West auf dem Weg nach Böhmen. Hundsgrün, Sohl, Raun. Der kleine Sprinter durchkämmte das bezaubernde Vogtland und sagte Fuchs und Hase gleich noch „Guten Morgen“.

Plauen Westbahnhof
Vogtland

Woran erkennt man, dass die deutsch-tschechische Grenze passiert wurde?
a) Das Zugpersonal wird ausgetauscht
b) Es wird keine Schutzmaske mehr getragen
c) Das mobile Internet funktioniert wieder

Es mag abwegig klingen, aber das mobile Internet funktioniert in voller Bandbreite im böhmischen Waldnirgendwo. Somit sind alle Antworten richtig. Und ich war nun der Einzige im Zug, der andere bemundnasenschützt. Der Robin Schoodz aus Deutschland.

Zwischenstopp in Cheb

Die egronet-Seite verriet 30 Minuten Aufenthalt bis zur Weiterfahrt, also ging ich schnurstracks in die nahe Innenstadt und überzeugte mich japantouriskesk von der kleinen Perle an der Eger. Boulevard, Marktplatz. Mehr war in der Kürze der Zeit nicht drin.

Cheb
Cheb Panorama

Offenbar ging ich als Einheimischer durch, denn auf dem kurzen Weg zur Innenstadt wurde ich zwei Mal angesprochen und (möglicherweise) nach dem Weg gefragt. Grund genug, die AirPods ins Ohr zu friemeln und sich von der Außenwelt abzuschotten.

Am Bahnhof wieder angekommen, fand sich auf der Anzeigetafel kein Zug, der um 10:30 in den Zielort fuhr. Also kramte ich meine nicht vorhandenen Tschechischkenntnisse hervor und befragte eine heimische Bahnangestellte. „Kein Zug um 10:30 Uhr. 11:18 Uhr der nächste. Baustelle.“ Gegen 11:30 Uhr kam er schließlich, ich legte als einziger Passagier meinen Mundnasenfeudel an und die letzte Etappe brachte mich im auf -10 Grad heruntergekühlten České dráhy nach Karlovy Vary.

Bahnhof Cheb
Dasnice Bahnhof
Karlsbad

Hunger machte sich breit. Im Land der Kńódlí sollte doch eine Karlsbader Oblate, eine Karlsbader Schnitte und ein Karlsbadisches Schäufele zu finden sein. Oder zumindest ein Becherovka. Jedenfalls eine Varyanz aus Karlovy.

Die wurde jedoch schnell vergessen, da mich der Liebreiz der Stadt schnell überkam. Vom Bahnhof (Achtung, NICHT in Karlovy Vary Dvory aussteigen!) kommt man schnell über die Eger, die einen mit ihrem Seitenkanal Teplá direkt in die Innenstadt spült. Oder anders: Einfach an den herrschaftlichen Gründerzeithäusern entlang bis zum letzten Relikt des Sozialismus, dem Spa Hotel Thermal. Von dort hat man es schon geschafft und ist mittendrin in der mondänen Welt Böhmens. Und ich begreife, warum Karlsbad zu den berühmtesten und traditionsreichsten Kurorten der Welt gehört. Kolonnadengesäumt fühlen sich die Schritte nicht nach spazieren an, sondern eher nach lustwandeln. Fehlt nur noch der Gehstock, die Leinenhose und der Strohhut.

Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary
Parallelen zu Ljubljana sind unverkennbar.
Karlsbad
Karlovy Vary

Die grassierende Pandemie tut ihr übriges, so dass die Straßen auffällig-angenehm leer sind. Zudem sind viele Geschäfte geschlossen und die sowieso schon anmutende Stimmung verstärkt sich: Smetanaspielende Cellisten werden von umhertrabenden Fiakern gesäumt, flankiert von wenigen Veuve Clicquot schlürfenden Russinnen begleitet von ihren kurzbeinigen Chihuahuas, die hechelnd ihre Zunge in den vergoldeten Wassernapf halten. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein. (Fun Fact: Das Haus, in dem Goethe in einer seiner 13 Aufenthalte wohnte, beherbergt mittlerweile das Mozart Café. Zwei Häuser weiter befindet sich Goethe’s Beer House.)

Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary

Kein Tschechienbesuch ohne Gulasch und böhmisches Bier. Also suchte ich mir fernab der ausgetrampelten Route ein lauschiges Lokal und bestellte genannte Spezialitäten. Beflügelt von den Speisen wurden die verbleibenden zwei Stunden genutzt, den pittoresken Talkessel zu erkunden, ehe der Zug wieder gen Heimat fährt.

Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary
Karlovy Vary

Sekundenschlaf in Karlovy Vary

Ich wundere mich, warum nahezu jede zweite Person eine aufwendig dekorierte Porzellantasse in der Hand hat. Ist hier etwa Weihnachtsmarkt oder das Festival der Teetrinker? Bis ich mich erinnerte, dass es sich ja um ein Kurbad mit heilenden Trinkwasserquellen handelt. Und jede Menge Spas.

Aus der Erfahrung reicher, sich nicht auf die tschechischen Zugfahrpläne zu verlassen, war ich um einiges vor der Abfahrtszeit am Bahnhof. Und das Glück war mir hold. Denn vor dem geplanten Zug fuhr in zwei Minuten ein früherer. Die Zeitersparnis nutzte ich, schwang die Hufe und hatte nun einen Puffer von einer Stunde Aufenthalt in meinem Umsteigeort Cheb. Zeit genug, um der Stadt abermals einen Besuch abzustatten – diesmal doppelt so lang wie morgens! Reicht aber auch.

Karlovy Vary
Cheb
Cheb
Cheb

Und nun sitze ich 10 Stunden nach der morgendlichen Abfahrt im Zug, der mich zurück nach Plauen bringt. Hindurch die tiefen böhmischen Wälder, den prächtigen Bäderwinkel und die Hügel und Felder des wunderschönen Vogtlands. Wo sich allmählich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen. Und durch mangelndes mobiles Internet Zeit für Entschleunigung und dem Verfassen dieser Zeilen ist.

Kar❤️y Vary.

Plauen
Plauen

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