All we are is dust in the wind

Lesedauer: etwa 4 Minuten

Aus meinen hinlänglich vorbereiteten Studien der israelischen Reihe „Eis am Stiel“ weiß ich, dass es in Israel stürmisch zugeht. Im übertragenen Sinne. Denn ein Orkan zog gestern Nacht über die Stadt und riss alles mit, was nicht angebunden oder einbetoniert war. Ich war es glücklicherweise und so bin ich jetzt lediglich eines Auflagekissens verlustig und eines verwackelten Gewitterbildes reicher.

Blitze über dem Mittelmeer

Staub liegt über der Stadt.

Der Wind brachte eine ordentliche Sandbank in die Stadt und vernebelte die Sonne zusehends. Nach der Bestandsaufnahme der vergangenen Nacht auf der Terrasse blickte ich auf die Unterseite meiner Flip Flops und erinnerte mich an Todds Worte, dass es besser sei, die Schuhe vor der Wohnung auszuziehen, um nicht zu viel Sand hineinzutragen. Kluger Mann. All we are is dust in the wind.

Todd ist nebenher auch ein Wetterprophet und sagte voraus, dass von Südwesten eine Schlechtwetterfront käme und ich den Freitag nutzen solle, um weiter Tel Aviv kennenzulernen. Gesagt getan. Also schwang ich die Hufe, holte mir einen Sesamkringel auf dem Carmel Market und schlenderte durch die Gassen. Freitag ist der Tag vor dem Shabbat, dem heiligen Ruhetag. Also muss – wieso soll es woanders anders sein? – eingekauft werden. Schließlich gibt’s morgen nix. Entsprechend trubelig waren die Gänge und entsprechend laut war das Geschehen. Um dem zu entgehen fand ich mich mit meinem Kringel im Kleinod Kzitzria wieder.

Carmel Market
Carmel Market nachdem der Trubel vorbei war.

Neli und ihr Onkel lachten zur Begrüßung und reichten ungefragt ein Glas frischen Pfefferminztee und Sesamkräuter-Dip für den Kringel. Ham‘wa noch Themen? Klar. Koschere Lebensweisen zum Beispiel. Ich habe mich mit der koscheren Art noch nicht wirklich beschäftigt, konnte aber dank Kitchen Impossible von letzter Woche mit Wissen glänzen, dass es in einer koscheren Küche unter Strafe steht, Fleisch und Milchprodukte unter einem Dach zu haben. Warum das so ist, sollte mir Neli erklären. Es ist offenbar so, dass das dem Körper nicht gut tut. Zwischen der Zunahme von beiden Lebensmitteln sollte ein Abstand von mindestens sechs Stunden liegen. Sonst rebelliert der Magen, es ist schlecht fürs Karma und überhaupt. Geschenkt. Als Dank für diese Aufklärung haben die beiden nun auch ihr erstes deutsches Wort kennengelernt: Bundesgartenschau. Fragt nicht…

Kringel mit Dip und Pfefferminztee

Und so zog ich wieder von dannen, um endlich Teile der Stadt zu erkunden, wie von Todd geheißen. Der Weg führte mich direkt auf den berühmten Rothschild Boulevard – eine mehr oder minder prachtvolle Straße durch das Zentrum. Wesentlich reizvoller war hingegen die Dizengoff St, die direkt hinter dem Habima Square abbiegt: Tolle Cafés, schnucklige Läden und Gewusel auf der Straße versprühten endlich ein urbanes Gefühl. Und ich habe endlich die Fluchtroute entdeckt, wenn es eine Tsunamiwarnung gibt. Theoretische Vorbereitung ist alles!

Bauhaus
Tsunami Evacuation Route

Die Dizengoff St führt direkt zum alten Hafen Tel Avivs, wo im Grunde auch schon die nördliche Stadtgrenze erreicht ist. Danach kommt nur noch ein Elektrizitätswerk und der Sde Dov Flughafen. Und so ist es umso verständlicher, dass man an dieser Stelle das zweittraurigste Fahrgeschäft nach dem Autoscooter von Kiew findet.

Das einsamste Kinderkarrusell der Welt

Zurück ging es mit tüchtig Gegenwind die Marina und den Strand entlang wieder gen Süden. Eine Besonderheit der Tel Aviver Strände ist es, jedem Strandabschnitt einer Nutzung zuzuweisen. So gibt es spezielle Hundestrände, Strände nur für Kiter, nur für Windsurfer bzw. Wassersportler und selbst einen geschlechtergetrennten. Und irritierenderweise wiesen an jedem Strand große Schilder darauf hin, dass das Baden verboten sei. Ich mutmaße, dass das am fehlenden Bademeisterpersonal liegt, für die derzeit noch keine Saison ist.

Getier am Strand
Getier am Strand
Horray

Mit einem Dosenbier in der Hand tat ich es der Dame aus dem gestrigen Beitragsbild gleich, setzte mich in einen Strandstuhl, ließ mir die Brise um die Nase wehen und beobachtete das Treiben der Wellen und Menschen. „Was tu ich hier?“ war eine der Fragen, die sich mir stellten. Die profane Antwort darauf: „Leben und den Moment genießen. Weniger denken, mehr fühlen.“ Und ein wenig so tun, wie dieser Knabe auf dem Rothschild Blv, der seine Erlebnisse niederschreibt. Nur in digital. Denn er benutzte eine klassische Schreibmaschine.

Schreibmaschinenmensch auf dem Rothschild Blv

One Comment

  1. conny 15. Februar 2019

    Auf einen Tsunami wollen wir wohl mal nicht hoffen, aber Du hast zumindest wirklich den wahren Weg entdeckt bei Deiner heutigen Wanderung (wieviele Kilometer sind denn so zusammen gekommen??).
    Und die beiden vom Kzitzria (was für ein Wort..) sind ja nach dieser kurzen Zeit schon zu lieben Bekannten geworden wie es scheint. Danke wieder für diesen kurzweilig geschriebenen Bericht.

    lg die hippe

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